Versuch mal, den Griffel etwas flacher zu halten!“ Mit diesem Hinweis von Antonia Beran gelingt es Isaac (6) gleich viel besser, seinen Namen mit dem Schreibutensil aus Stein ganz ohne Quietschen auf die alte Schiefertafel zu schreiben. Heutzutage werde ja eher getippt, geklickt und gewischt, so die Leiterin des Kreismuseums Jerichower Land. Umso spannender sei es, mal auszuprobieren, wie Schule früher funktionierte.
Um das zu vermitteln, ist sie auch heute wieder mit dem Mobilen Museum, das sie zusammen mit Museumspädagogin Simone Menz managt, unterwegs. „Im Jerichower Land sind die Wege weit. Viele können nicht zu uns nach Genthin kommen, also machen wir uns auf den Weg in Kitas, Grundschulen bis hin zu Seniorenheimen.“ Dazu werden die passenden Exponate kurzerhand eingepackt und ins Auto verfrachtet. „Angefangen haben wir mit einem gut gefüllten Wäschekorb, mittlerweile können es schon mal mehrere Koffer sein, die mit uns auf Reisen gehen.“
Museum ist langweilig? Nicht bei uns!
Heutiges Ziel: der Hort in Schlagenthin. Heutiges Thema: Schule und Kinderleben damals. Im Koffer dafür: allerlei spannende Utensilien, mit denen Opa und Uroma einst gespielt und gelernt haben. Damit hat Antonia Beran sofort die volle Aufmerksamkeit der Sechs- bis Neunjährigen. Die Kids staunen über die 80-jährige Puppe mit eigenartig anmutender Frisur und Kleidung, das bemalte Holzspielzeug, das ganz ohne Batterie auskommt und sich trotzdem bewegt, über den alten Spielzeuglastwagen, der nicht etwa aus Plastik, sondern vielmehr aus Metall gefertigt ist. Oder den abgewetzten Lederschulranzen von damals, den sich Elena (8) heute mal umschnallen darf und der dann zusammen ausgepackt wird.
Geschichte, die Geschichten erzählt
Wichtig bei der Vermittlung von Geschichte ist Antonia Beran die Achtung vor dem, was andere Generationen vor uns erlebt und geschaffen haben. „Geschichte spannend macht, dass ich zeigen kann: Die Menschen damals haben ähnlich getickt, hatten ähnliche Probleme zu bewältigen wie wir heute.“ Das Mobile Museum gibt es seit Ende 2020 – das Museum bereits seit 1886. „Damals waren die Exponate verteilt und zum Teil auf Dachböden verstaut“, berichtet die studierte Historikerin und Völkerkundlerin, die 1992 nach Genthin kam und das Museum seit 1995 leitet. 1908 habe der Landkreis die Sammlung übernommen. „Seitdem sind wir Kreismuseum.“ 20 Jahre später, 1928, konnte die dreistöckige und größte Genthiner Villa als Museum eröffnet werden.


Mit über 45.000 Exponaten zeigt das Kreismuseum die Geschichte des Jerichower Landes von der Ur- und Frühgeschichte bis in die jüngste Vergangenheit. Zu den ältesten Ausstellungsstücken gehören Knochen von Mammuts, die beim Ausbaggern des Elbe-Havel-Kanals gefunden wurden. 12.000 Jahre auf dem Buckel hat das sogenannte Schwirrgerät – ein ovales, aus Knochen geschnitztes und an einer Schnur befestigtes Teil, das durch schnelle Drehbewegungen einen surrenden Ton erzeugt und als eines der ältesten Musikinstrumente gilt.
Nicht alle Exponate finden auf den 400 Quadratmetern Ausstellungsfläche Platz. „Das versuchen wir durch Wechselausstellungen zu kompensieren“, sagt Antonia Beran. Noch bis Februar 2026 beleuchtet „Lein oder nicht Lein“ Geschichte und Tradition rund um den Lein – eine Pflanze, die bereits vor über 8.000 Jahren genutzt wurde.
Miteinander der Generationen
Zu den persönlichen Lieblingsexponaten der Museumschefin gehört eine abschließbare Zuckerdose. „Sie erzählt die Geschichte des Zuckers, der einst als wertvolles Gut galt und damit nicht für jeden erschwinglich war.“ Auch auf die alte Schulbank im Museum ist sie stolz. „Da dürfen sich die Kinder gern ransetzen und auf der Schiefertafel schreiben. So schlagen wir Brücken zwischen Gestern und Heute.“ Nicht selten erlebe sie, dass Großeltern mit ihren Enkeln durch die Ausstellung gehen. „Auf einmal ruft die Oma freudig aus: Guck mal, so was habe ich auch auf dem Dachboden. Und schon hat sie den Enkel in ihren Bann gezogen. Dieses altersübergreifende Miteinander können wir unterstützen.“
Um die 5.000 Besucher zählt das Kreismuseum Jerichower Land per anno, vom Kindergartenkind bis zum Senior. „Obgleich mehr ältere Menschen zu uns kommen“, räumt Antonia Beran ein. Auch diese Tatsache sei für sie ein Generationsthema: „Als Kind schaue ich nicht in die Vergangenheit, da interessieren mich Gegenwart und Zukunft. Als Jugendlicher dreht sich alles um Ausbildung und Geldverdienen. Als Erwachsener liegt der Fokus auf Job und Familie. Erst ab 50, wenn die eigenen Eltern alt werden, beginnen viele, über ihre Wurzeln nachzudenken, fragen sich, wo komme ich her, warum bin ich so, wie ich bin, was hat mich geprägt? Dann ist man eher aufgeschlossen dafür, historisch gewachsene Zusammenhänge zu erkennen und zu erforschen.“
Geschichte zum Anfassen
Antonia Beran und ihr Team setzen dabei auf Geschichte zum Anfassen und Mitmachen. Beispiel: Das Thema vom Korn zum Brot. „Hier erfahren Kinder nicht nur, wo das Korn wächst, wie die Ähren in steinzeitlichen Mühlen gemahlen wurden, hier dürfen sie auch selbst Korn zermahlen – und erleben, wie Mehl entsteht, aus dem wir dann gemeinsam Brötchen backen und uns schmecken lassen.“ In höheren Klassenstufen muss Antonia Beran auch mal tricksen, um sich die Aufmerksamkeit von Teenagern zu sichern. Zwei Tage vor der Zeugnisausgabe über Absolutismus sprechen? Kurzerhand zog sie zu diesem Anlass vom Klassenzimmer ins Museum um. „Hier habe ich unter anderem vom Kartoffelbefehl Friedrichs des Großen zur Sicherung der Volksernährung erzählt. Es wurden Pellkartoffeln gekocht, Butter geschüttelt und auf einmal war der Absolutismus richtig spannend“, lacht Beran.
Westpaket fürs Seniorenheim
Unterwegs ist das Museum auch in Seniorenheimen. Hier gehe es darum, die Bewohner rege zu halten, einzubeziehen, ihre Erinnerungen zu wahren. „Das gelingt, egal, ob wir nun Koffer, Bademantel und Wanderstock hervorholen und damit (gedanklich) auf Reisen gehen oder ob wir ein Westpaket auspacken, uns an Kaffee, Strumpfhosen und Schokolade erinnern und dabei Geschichten erzählen.“ Die habe so ziemlich jeder parat. Dann wird gemeinsam Kaffee gekocht – so wie früher mit Aufgießen und Kaffeewärmer. Und am Schluss gibt’s für alle Kinderschokolade. „Wenn das nicht generationsübergreifend ist!“